Tawakkul - Und auf Allah sollen sich die Gläubigen verlassen
Nachdem im letzten Beitrag die Taqwa, die Gottesfurcht, behandelt wurde, geht es heute um ein weiteres wichtiges Element der Beziehung zwischen Gott und dem gläubigen Menschen.
Was bedeutet Tawakkul?
Aus sprachlicher Sicht bedeutet das Wort Tawakkul “jdm. etw. überantworten, anvertrauen, oder delegieren” oder auch “sich auf jdn. verlassen”.
Wenn im religiösen Kontext von Tawakkul oder Tawakkul ‘ala Allah gesprochen wird, so ist die Rede vom Zustand des Vertrauens und Sichverlassens auf Allah, in dessen Hand alles Gute und Schlechte ist, und der Zufriedenheit mit Seiner Entscheidung. Die Person, die diesen Zustand erreicht, wird Mutawakkil genannt (Partizip des Gerundiums ‘Tawakkul’).
Allah spricht:
“Und auf Allah sollen sich die Gläubigen verlassen.” (Ali Imran 3:122)
“Gläubig sind wahrlich diejenigen, deren Herzen erbeben, wenn Allahs gedacht wird, und die in ihrem Glauben gestärkt sind, wenn ihnen Seine Verse verlesen werden, und die auf ihren Herrn vertrauen.” (al-Anfal 8:2)
“Und Moses sprach; “O mein Volk, habt ihr an Allah geglaubt, so vertraut nun auf Ihn, wenn ihr euch (Ihm) wirklich ergeben habt.” (Yunus 10:84)
Aus diesen und weiteren Versen des Korans wird deutlich, dass Tawakkul für den Gläubigen notwendig und eine Bedingung des aufrichtigen Glaubens ist. Darum ist es wichtig zu verstehen, was Tawakkul beinhaltet und wie man diese Haltung des Herzens verinnerlichen kann.
Von den sechs Säulen des Glaubens im Islam - der Glaube an Allah, an Seine Bücher, an Seine Engel, an Seine Propheten und Gesandten, an den Tag des Gerichts - ist die letzte Säule, die erwähnt wird, der Glaube an den Willen und die Vorbestimmung Allahs (al-Qada wal-Qadar). Diese Säule des Glaubens wird üblicherweise als Qadar bezeichnet.
Qadar ist in der islamischen Begriffslehre Allahs Bestimmung und Festsetzung aller Dinge und aller Ereignisse die je geschahen oder geschehen werden und Sein Wissen darüber, dass sie genau zu der Zeit und auf die Art und Weise eintreten werden, die für sie bestimmt ist. Allah ist der Schöpfer aller guten und schlechten Dinge und derjenige, der alle guten und schlechten Angelegenheiten festgesetzt und ihnen ihr Maß gegeben hat. Es ist Allah, der Allmächtige und Allwissende, der alle Angelegenheiten in Seiner Hand hält. Kein Blatt fällt von einem Baum ohne seine Kenntnis und ohne seine Eraubnis. Und deshalb kommt alles Gute und Schlechte von Allah, und niemand ist dazu in der Lage, Nutzen oder Schaden zuzufügen, ohne dass Allah es vorher bestimmt hat.
Von Ibn Abbas ist überliefert, dass der Gesandte Allahs, Heil und Segen seien auf ihm, sagte: “Sei gewahr, dass wenn sich die gesamte Menschheit versammelt, dir in einer Sache zu nutzen, sie dir nur etwas nutzt, was Allah schon für dich niedergeschrieben hat. Gleichsam, wenn sich die gesamte Menschheit versammelt, dir in einer Sache zu schaden, sie dir nur in etwas schadet, was Allah schon für dich niedergeschrieben hat. Die Stifte sind gehoben und die Blätter sind getrocknet.” (Tirmidhi 2516, Einstufung: Ein guter Hadith (Hasan))
Der Glaube an Allahs Qadar lässt im Herzen Tawakkul gedeihen und erstarken. Wenn der Diener den Glauben an Allahs Qadar verinnerlicht hat, so wird sein Herz leicht den Zustand des Tawakkul erreichen. Das Vertrauen auf Allah nimmt zu, je mehr man über die Qadar und ihre Bedeutung nachsinnt. Der Diener erreicht die Erkenntnis, dass alles, was Allah für ihn bestimmt hat, auf Seiner unerforschlichen und grenzenlosen Weisheit fußt und letztendlich zu Gunsten des Dieners geschieht - ob Erleichterung oder Erschwernis. Das Verinnerlichen dieses Vertrauens lindert jede Art von Trauer, Wut, Enttäuschung oder Furcht. Es ist die Befreiung von Sorge und Kummer, an dessen Stelle Zufriedenheit, Entspannung und Erleichterung treten. Die Person, die Tawakkul im Herzen besitzt ist jemand, der auf Allahs Weisheit in allem, was Er bestimmt und entschieden hat vertraut und der sich zuversichtlich auf Sein Beisein und Seine Hilfe verlässt.
Allah der Erhabene spricht:
“Und gewiß werden Wir euch prüfen durch etwas Angst, Hunger und Minderung an Besitz, Menschenleben und Früchten. Doch verkünde den Geduldigen eine frohe Botschaft die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen; “Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.” (al-Baqara 2:155-156)
Von Suhaib ist überliefert, dass der Gesandte Allahs, Heil und Segen seien auf ihm, sprach: “Seltsam ist die Angelegenheit des Gläubigen! In all seinen Angelegenheiten ist Gutes. Und dies ist bei niemandem außer beim Gläubigen so. Wenn ihn ein Glücksfall trifft, ist er dankbar (gegenüber Gott), und so ist das gut für ihn; und wenn ihn ein Unglücksfall trifft, ist er geduldig, und so ist auch das gut für ihn.” (Sahih Muslim 2999)
Und von Anas ibn Malik ist überliefert, dass der Prophet, Friede und Segen seien auf ihm, sagte: “Die größte Freud ist im größten Leid. Wenn Allah ein Volk liebt, so prüft Er es. Wer zufrieden ist, dem ist Zufriedenheit, und wer unzufrieden ist, dem ist Unzufriedenheit.” (Sunan Ibn Majah 4031 Einstufung: Ein guter Hadith (Hasan)).
Das Leid, welches Allah einen Gläubigen erfahren lässt, ist also in Wirklichkeit ein Ausdruck Seiner Liebe und Fürsorge. Wie kann das sein? Das Geprüftwerden gehört zu den Anzeichen des Glaubens, denn Allah hat versprochen, die Gläubigen zu prüfen. In einer Prüfung liegt eine große Gelegenheit für den Gläubigen, die Zufriedenheit Allahs zu erlangen, seine Sünden zu tilgen und eine hohe Stellung bei Ihm einzunehmen. Deshalb ist es erwähnt: Derjenige, der mit Allahs Entschluss zufrieden ist, mit dem wird Allah auch zufrieden sein, und derjenige der damit nicht zufrieden ist, mit dem wird auch Allah nicht zufrieden sein.
Allah der Erhabene spricht:
“Er wird nicht befragt nach dem, was Er tut; sie aber werden befragt.” (al-Anbiya 21:23)
Der Mutawakkil stellt, wenn ihn ein Unglück trifft, niemals solche Fragen wie “Warum tut Gott mir das an?” oder “Warum erhört Gott meine Gebete nicht?” Denn dies sind Ausdrücke der Ungeduld, des fehlenden Vertrauens auf Gott und des Zweifels an Seiner Weisheit.
Tawakkul lässt den Gläubigen also allen Erschwernissen des Lebens mit Zuversicht und Zufriedenheit begegnen. Doch die Früchte des Tawakkul hören damit nicht auf:
Allah der Erhabene spricht:
“Und wer Allah fürchtet, dem schafft Er einen Ausweg und gewährt ihm Versorgung, von wo (aus) er damit nicht rechnet. Und wer sich auf Allah verläßt, dem ist Er seine Genüge. Allah wird gewiß (die Durchführung) seine(r) Angelegenheit erreichen. Allah legt ja für alles ein Maß fest.” (at-Talaq 65:2-3)
Der Mutawakkil genießt nicht nur die Ruhe des Herzens, sondern ihm wird sogar von Allah versprochen, dass Er ihm seine Last nehmen und ihm genügen wird. Durch Tawakkul werden Türen der Erleichterung geöffnet. Allah gibt dem Mutawakkil einen Ausweg aus jeder schwierigen Situation und öffnet ihm die Türen zum Erfolg.
Dies, weil der Mutawakkil seine Sorgen, Probleme, Nöte und all seine Angelegenheiten seinem Herrn überlassen hat. Der Mutawakkil wendet sich zu Allah und breitet seine Angelegenheit vor Ihm aus. Er hat all seine eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft und weiß, dass der Ausgang der Sache nur von Allah entschieden wird. Er vertraut auf Allah, weil Allah ihn und seine Situation besser kennt, als er sie selbst kennt.
Allah spricht:
“Ich überlasse meine Angelegenheit Allah. Gewiss, Allah sieht die Diener wohl.” (Ghafir 40:44)
Von ‘Umar ibn al-Khattab, Allah habe Wohlgefallen an ihm, wurde überliefert, dass der Prophet, Heil und Segen seien auf ihm, sagte: “Würdet ihr euch gebührend auf Allah verlassen, da würde Er euch versorgen, wie ein Vogel versorgt wird, dessen Bauch am Morgen leer und am Abend voll ist.” (Tirmidhi 2344. Einstufung: Ein guter Hadith (Hasan)).
Doch dies bedeutet keineswegs, dass man als Mensch nur zu sitzen und zu warten braucht. Es wäre ein falsches Verständnis von Tawakkul, davon auszugehen, man müsse sich selbst nicht anstrengen und es würde genügen, auf Allah zu vertrauen, ohne selbst etwas für das Erreichen des gewünschten Ziels zu unternehmen. Vielmehr muss der Diener die eigenen Möglichkeiten ausschöpfen, die ihm von Allah gegeben wurden, und in dem, was außerhalb der eigenen Möglichkeiten liegt, vertraut der Diener auf Allah. Dies beides gehört zur Tawakkul.
Durch das Gleichnis des Vogels wird diese Lehre nachvollziehbar: Der Vogel bleibt nicht in seinem Nest und wartet darauf, dass seine Versorgung durch Allah von selbst kommt. Er zieht früh am Morgen zur Nahrungssuche hinaus und verrichtet sein Werk bis zu später Stunde. Wenn er am Abend mit vollem Bauch wieder zurückkommt, so ist dies die Versorgung, die Allah ihm gewährte, indem er den Vogel sein Maß an Nahrung finden ließ. Und dies geschah, weil der Vogel das tat, was zum Erreichen dieses Ziels nötig war, und weil Allah dessen Bemühungen genügen ließ.
Wenn ein Schüler nicht für eine Prüfung lernt, obwohl er weiß, dass sie bevorsteht, so kann man es nicht als Tawakkul bezeichnen, mit der daraus folgenden schlechten Note zufrieden zu sein. Dieser Schüler hat seine schlechte Note durch seine eigene Vernachlässigung seiner Pflichten selbst verschuldet. Obwohl er die Möglichkeit hatte, für seine Prüfung zu lernen, hat er nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht. Wahre Tawakkul wäre es, sich für das Erlernen der Inhalte anzustrengen, und daraufhin auf Allah zu vertrauen und mit Seiner Entscheidung zufrieden zu sein. Beides ist ein Teil von Tawakkul.
Und dies wird im Hadith deutlich, der von Anas ibn Malik überliefert ist:
“Ein Mann sagte, ‘O Gesandter Allahs, soll ich mein Kamel anbinden und auf Allah vertrauen, oder soll ich sie ungebunden lassen und auf Allah vertrauen?’ Der Prophet, Heil und Segen seien auf ihm, sagte: “Binde sie an und vertraue auf Allah.” (Tirmidhi 2517, Einstufung: Ein guter Hadith (Hasan)).
Wir bitten Allah, unseren Glauben zu stärken und uns zu den Mutawakkilin gehören zu lassen.